Unglaublich erfrischend lässt sich das Gespräch mit dem Yogalehrer Mike Erler wohl am besten beschreiben. Fernab von Enge und Dogmen sind wir den Fragen nachgegangen, wie Yoga das Leben auf die nächste Ebene heben und ein Begleiter in herausfordernden Zeiten sein kann. Wir haben uns darüber ausgetauscht, wo Yoga an seine Grenzen stößt und wie ein zu viel der Praxis als Kompensation dienen kann. Mike unterrichtet seit über 15 Jahren Yoga und sieht seine Aufgabe darin, sich schnellstmöglich wieder entbehrlich zu machen. Er lädt ein, Dinge und Welten kritisch zu hinterfragen und sich immer wieder mit seiner eigenen Wahrheit zu verbinden.
Mike Erler im Interview über Yoga und Leben

Welche Bedeutung hat Yoga in deinem Leben?
Yoga ist für mich eine Art Werkzeugkasten oder auch Erste-Hilfe-Koffer, auf den ich zurückgreifen kann, um mich immer wieder bewusst mit mir zu verbinden. Wobei Yoga für mich viel weniger die Praxis von Asanas bedeutet und mehr die Praxis von Pranayama und Meditation beinhaltet.
Was ist für dich die Essenz von Yoga?
Ich sehe Yoga als eine Philosophie fürs Leben. Bei mir geht es weniger ums Yoga machen, sondern vielmehr ums Yoga leben. Achtsam und bewusst mit mir selbst zu sein und entsprechend auch mit meiner Außenwelt und meinen Mitmenschen umzugehen. Yoga ist für mich ein Raum fernab von Angst und Dogmen, der mir die Möglichkeit gibt, Dinge auszuprobieren und der mich meinem wahren Kern immer näherbringt.
Was braucht es, um mit Yoga die Qualität meines Lebens auf eine neue Ebene zu bringen?
Für mich ist grundsätzlich erst einmal der Wille ausschlaggebend. Wenn ich mit dem Anspruch herangehe, dass Yoga mein Leben besser machen soll und ich nichts weiter dafür tun muss, dann werde ich wahrscheinlich recht schnell enttäuscht. Das kommt dem gleich, als wenn ich zum Arzt gehe und meine Selbstwirksamkeit an der Türschwelle abgebe. Letztlich liegt die Verantwortung immer bei mir selbst. Es braucht also zunächst die eigene Bereitschaft und Entscheidung, etwas verändern zu wollen. Und dann kann Yoga der Türöffner in eine ganz neue Lebenswelt sein.
Was sagst du zu Yoga als Begleiter in schweren Zeiten?
Wenn auf der körperlichen Ebene Symptome auftreten, sind wir mehr oder weniger bereits auf der letzten Instanz angekommen. Es ist davon auszugehen, dass bereits lange Zeit zuvor Signale von emotionaler, geistiger oder seelischer Ebene vorausgegangen sind. Wenn diese keine Wirkung erzielen konnten, tritt der Körper aufs Spielfeld. Über meinen Yoga-Unterricht und die damit verbundene Asana-Praxis führe ich die Menschen zurück, sodass sie immer mehr und mehr in Kontakt mit sich und ihrem Körper kommen. Die Matte ist der perfekte Übungsraum, um sich selbst wieder zuzuhören und wahrzunehmen, was ich gerade wirklich brauche. Wenn man in der aktuellen Zeit schon auf einige Jahre Yoga-Praxis zurückblicken kann, ist es ggf. etwas leichter, mit den aktuellen Gegebenheiten umzugehen. Es sei denn, der ein oder andere muss noch mal erinnert werden.
Woran genau erinnern?
Das jeder seinen eigenen Weg geht und für sich selbst die Verantwortung trägt. Es liegt bei mir zu hinterfragen: Was brauche ich wirklich? Was ist mir wichtig? Ist das wirklich wahr? Was ist wichtig für ein glückliches Leben? Jeder trägt dieses Wissen bereits in sich, nur ist es auf dem Weg in Vergessenheit geraten. Es gibt keine andere Person, die deine eigenen Themen zu regeln vermag.
Was kann Yoga nicht bzw. wo stößt Yoga an seine Grenzen?
Da wo Schulmedizin gebraucht wird, tue ich mich mit alternativen Heilungsversprechen sehr schwer. Yoga kann keine Verletzungen heilen, wo die Schulmedizin benötigt wird. Mir ist vor einigen Jahren die Achillessehne gerissen. Das erste Mal war es für mich eher ein physisches Thema. Neun Monate später ist sie ein zweites Mal gerissen und da bin ich in ein mentales Loch gefallen. Ich stellte mir die Frage, warum reißt die stärkste Sehne in meinem Körper zweimal? Was will mir mein Körper damit sagen? Was verursacht so viel Spannung in meinem Leben, dass ich dieses Thema gleich zweimal serviert bekomme? An dieser Stelle konnte mir Yoga dann wieder helfen.
Kann ein zu viel der Yoga-Praxis als Kompensation für Missstände an anderer Stelle „missbraucht“ werden?
Es ist wie mit vielen Dingen im Leben, ein zu viel von einer Seite kann ein Zeichen dafür sein, dass ich mir bestimmte Themen nicht anschauen möchte. Es kommen Menschen in meine Klasse, die waren früher Workaholics und haben manchmal mehr oder weniger freiwillig den Weg auf die Yogamatte gefunden. Sie dürfen stolz darauf sein, dass sie nicht mehr so viel arbeiten und prahlen mit einer fünfstündigen Yoga-Praxis jeden Tag. Aus meiner Sicht ein deckeln, nur mit einer anderen Headline. Wenn es mir nicht gut geht, wenn ich eine Sache mal nicht in der gleichen Intensität auslebe, dann darf ich hellhörig werden. Ein Machen-Müssen ist auch immer eine Einladung genauer hinzuschauen. Leider wird darüber in der Yoga-Welt viel zu wenig gesprochen.
Du bist seit über 15 Jahren Yogalehrer. Worin siehst du deine Aufgabe in dieser Rolle?
Mein Ziel ist es, mich schnellstmöglich wieder entbehrlich zu machen. Soll heißen, ich bin für eine geraume Zeit eine Art Wegbegleiter, aber ohne den Yogis zu suggerieren, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist oder sie mich brauchen. Jeder ist eingeladen, kritisch zu prüfen, zu hinterfragen und sich in seine ganze eigene Richtung zu entfalten. Viel zu häufig werden in der heutigen Yoga-Welt Bedürfnisse kreiert, die es vorher nicht gab, um mit der Lösung auf den Plan zu treten. Als Lehrer kann ich immer nur meine Geschichte erzählen, um vielleicht den ein oder anderen zu inspirieren, aber auch mein individueller Weg geht immer weiter. Und dies ist ein Weg zu innerer Verbundenheit, fernab von Kontrolle und Sicherheit, welche im außen nicht zu finden ist. In den letzten Monaten wurde so viel von Sicherheit gesprochen. Welche Sicherheit? Wenn ich eine Idee geben kann, wo diese Sicherheit wirklich zu finden ist, habe ich meine Aufgabe als Yogalehrer erfüllt.
Welche Erfahrungen hast du mit Yin Yoga gemacht?
Yin Yoga gehört für mich genauso in mein Leben, wie die kraftvolle Yoga-Praxis. Ich unterrichte hauptsächlich Männer und somit ist mein Unterricht eher yang-lastig und fordernder. Wir gehen der Frage nach „Wann ist der Mann ein Mann?“ Aber ich setze auch Yin Yoga wohldosiert ein, um neben dem Zugang zur Männlichkeit den Kontakt zur weiblichen Seite zu stärken. Es braucht immer auch die andere Seite, sowohl für die Frau als auch für den Mann.
Woran möchtest du die Menschen erinnern?
Alles, was du brauchst, liegt in dir. Wir können sein, wer wir wollen. Wir können machen, was wir wollen. Die Freiheit ist nur im innen zu finden.
Mike ist seit 15 Jahren leidenschaftlicher Yogalehrer und hat es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem Männer zum Yoga zu führen. Sein eigens entwickeltes Programm „Wilde Kerle“ Yoga ist deutschlandweit bekannt und gefragt. Seine kraftvollen Klassen sind vielseitig und undogmatisch, aber auch Yin Yoga setzt er immer mehr wohldosiert ein. Mike inspiriert durch das Erzählen von Geschichten, ist in der ganzen Welt unterwegs, leitet Retreats, Workshops und unterrichtet in seiner Heimatstadt Lübeck im Studio YogaPur.
Mehr über Mike Erler: mikeandmore.net

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