Die Schwangerschaft und das kleine Wunder in dir ist eine besondere Zeit für Körper und Geist. Wie kann dich Yin Yoga in dieser Zeit unterstützen? Ist es sinnvoll in der Schwangerschaft mit Yin Yoga anzufangen, wenn noch keine Vorkenntnisse bestehen? Welche Grundsätze sind zu beachten? Kann Yin Yoga in der Schwangerschaft auch schaden? Wann kannst du nach der Geburt wieder mit Yin Yoga starten?
Die Expertin Stefanie Arend im Interview über Yin Yoga & Schwangerschaft

Wie kann Yin Yoga in der Schwangerschaft unterstützen?
Ich finde Yin Yoga während der Schwangerschaft ganz wunderbar geeignet. Zum einen möchte eine Frau für die Geburt weich und weit werden, was durch die Praxis begünstigt werden kann. Zum anderen gibt es die Möglichkeit, mehr nach innen zu spüren und sich bewusst mit dem Baby zu verbinden, eventuell auch Ängsten vor der Geburt zu begegnen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Kann Yin Yoga in der Schwangerschaft auch schaden?
Natürlich gibt es auch hier mögliche Kontraindikationen. Die Yin-Yoga-Praxis verträgt sich in der Regel aber sehr gut mit einer bestehenden Schwangerschaft, wenn einige Grundsätze beachtet werden.
Es ist als Schwangere wichtig, nur sanft zu dehnen und den Bauchraum möglichst außen vor zu lassen. Der vermehrte Einsatz von Hilfsmitteln ist dabei besonders empfehlenswert. Während der Schwangerschaft sorgt das Hormon Relaxin dafür, dass der Körper der Frau weicher wird, um sie auf die bevorstehende Geburt vorzubereiten. Deshalb sind viele Frauen in dieser Zeit auch beweglicher als sonst. Dennoch besteht ein Verletzungsrisiko, wenn Dehnungen zu intensiv ausgeführt werden. Vorsicht gilt auch bei Drehungen, sie sollten nur zur offenen Seite hin beziehungsweise in der Brustwirbelsäule ausgeführt werden. Wie in jeder Yogapraxis ist es als Schwangere besonders wichtig, jederzeit achtsam nach innen zu spüren und zu beobachten, welche Positionen guttun und welche nicht. Auch die Haltezeit sollte individuell ausgetestet werden. Eine kürzere Haltezeit als vor der Schwangerschaft ist meist angebrachter. Wenn der Bauch zunehmend größer und das zusätzliche Gewicht zu schwer wird, ist es für Schwangere häufig nicht mehr empfehlenswert, länger auf dem Rücken zu liegen. Die Rückenlage verursacht dann möglicherweise zu viel Druck auf die Hohlvene Vena Cava, die wichtig ist, um das Blut zurück zum Herzen zu führen.
Allerdings gibt es keine allgemeingültige Regel. Die Frau sollte ihrer inneren Yogalehrerin ihr volles Vertrauen schenken bei allem, was sie tut und ihre Signale respektieren. Wenn es der werdenden Mama gut geht, dann geht es in der Regel auch ihrem Baby gut.
Welche Veränderungen finden auf fazialer Ebene statt?
Die Faszien-Forschung hat inzwischen herausgefunden, dass die Hormone auch Einfluss auf unsere Faszien haben. Allerdings weiß man noch nicht sehr viel darüber. Dr. Carla Stecco aus Italien konnte in Untersuchungen herausfinden, dass in den Faszien Rezeptoren für Östrogen, Progesteron, Relaxin und das endogene Cannabinoid-System zu finden sind. Die Zellen der Faszien wurden mit verschiedenen Östrogen-Level stimuliert, woraufhin sich die Faszien verändert haben. Man weiß also, dass unterschiedliche Hormon-Level die Faszien beeinflussen, was erklären könnte, warum eine Frau während der Schwangerschaft dehnbarer wird.
Was bedeutet das für die Yin-Yoga-Praxis?
Wie erwähnt, würde ich eher zu einer kürzeren Haltezeit raten und auch mehr Hilfsmittel verwenden. Positionen, die den Beckenraum öffnen, wie zum Beispiel der Schmetterling, die Libelle oder die Hocke werden von den Schwangeren meist sehr gerne praktiziert. Rückbeugen empfehle ich nur mit Unterstützung eines Bolsters, da es theoretisch zu einer Plazenta-Ablösung kommen kann, wenn die Bauchdecke zu stark gedehnt wird. Auch Drehungen sollten nur abgeschwächt praktiziert werden, zum Beispiel mit einem Bolster unter den Beinen, wenn der Korkenzieher ausgeführt wird, sodass die Drehung eher in die Brustwirbelsäule geht und der Bauchraum möglichst außen vor bleibt. In den Vorbeuge ist irgendwann der Bauch im Weg, sodass man den Körper durch den Einsatz von Hilfsmitteln höher betten kann. Für die Bauchlage kann man sich zwei Rollen mit dazu nehmen, eine unter dem Becken und eine unter der Brustwirbelsäule, sodass der Bauch keinen Druck bekommt. Bezüglich der Häufigkeit sollte die Schwangere nach innen spüren und wahrnehmen, wie ihr die Praxis bekommt. Ich würde eher zu kürzeren Einheiten raten, die häufiger ausgeführt werden, als zu lange Einheiten am Stück zu praktizieren.
Ist es sinnvoll in der Schwangerschaft mit Yin Yoga anzufangen, wenn noch keine Vorkenntnisse bestehen?
Das ist möglich, aber es erfordert viel Eigenverantwortung, da die Schwangere die Grenzen ihres Körpers kennen sollte. Im Yin Yoga gehen wir nicht an die 100 %-Grenze, sondern kommen eher nur bis zu 70 % in eine Position hinein, damit wir noch Raum haben, den Körper über die Haltezeit weicher werden und mehr einsinken zu lassen. Diese Grenzen sind während der Schwangerschaft natürlich verschoben. Daher braucht es liebevolle Achtsamkeit und Respekt für den eigenen Körper.
Gibt es Unterschiede zwischen dem ersten, zweiten und dritten Trimester?
Auch hier kommt es wieder auf die Vorerfahrung der Praktizierenden an und auf das Verbinden mit der inneren Yogalehrerin. Während des ersten Trimesters rate ich generell zu mehr Vorsicht, egal um welche körperliche Tätigkeit es sich handelt, da es hier um den „Nestbau“ geht und der Körper nicht zu sehr gestresst werden sollte. Im zweiten Trimester hat sich die Schwangerschaft schon gut gefestigt und viele Frauen fühlen sich sehr wohl während dieser Zeit. Die Müdigkeit des ersten Trimesters hat meist nachgelassen und die Yoga-Praxis wird gerne umgesetzt. Im letzten Trimester ist der Bauch dann schon so groß, sodass viele Haltungen in sanftere Varianten abgewandelt werden müssen. Während jeden Trimesters hat das Hineinspüren in den eigenen Körper absolute Priorität.
Was ist bei Atemübungen zu beachten?
Eine sanfte Atempraxis ist gut möglich und kann sehr nährend sein. Ich rate dazu, auf das Anhalten des Atems zu verzichten und auch kein Pranayama zu praktizieren, bei dem der Bauchraum zu sehr bewegt wird (beispielsweise wie bei Kapalabhati).
Wann kann ich nach der Geburt wieder mit der Yin Praxis starten?
Nach der Schwangerschaft hat das Zusammenziehen des Gewebes und die Kräftigung des Körpers Priorität, sodass ich den Frauen zuerst eher eine Yang-Praxis empfehle. Zirka drei Monate nach der Geburt kann man wieder mit Yin Yoga starten. Wenn die Frau schon sehr Yin Yoga erfahren ist, auch gerne früher. Auch gilt wieder, die Haltungen sanft ausführen und nicht zu lange halten.
Woran möchtest du die Menschen erinnern?
Mir ist es immer wieder ein Anliegen, den Menschen dazu zu raten, jeden Tag etwas Zeit mit sich selbst in Stille zu verbringen. Die Yin-Yoga-Praxis kann dazu ein wunderbarer Einstieg sein. In meinen Augen ist das eine sehr schöne Möglichkeit, sich mit der eigenen Seele zu verbinden und zu schauen, was sie uns zeigen möchte. Zu überprüfen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind oder ob wir eine andere Richtung einschlagen möchten.
Stefanie Arend hat verschiedene Ausbildungen in unterschiedlichen Yoga-Richtungen absolviert, bis sie mit Yin Yoga endlich das gefunden hat, was sie lange suchte. Die Herangehensweise an Yoga hat ihr einen tiefen inneren Frieden und ein Gefühl des Ankommens geschenkt. Stefanie gilt als eine der Pionierinnen und ersten Autorinnen und Lehrerinnen für Yin Yoga in Deutschland.
Mehr über Stefanie Arend: yinyoga.de
Foto: Benjamin Kurtz
Yin Yoga & Schwangerschaft: Teile deine Gedanken, Fragen, Kommentare. Ich freue mich über deine Nachricht.