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Yin Yoga & Elemente


Unabhängig vom Regelwerk der modernen Gesellschaft umgeben den Menschen natürliche Ordnungsprinzipien, die zu einem spannenden Lern- und Erkenntnisprozess einladen. Wenn man in die Welt der Elemente eintaucht und sich die Zusammenhänge immer mehr verknüpfen, lassen sich die Herausforderungen des Lebens leichter meistern. Eigentlich soll immer nur Frühling sein - alles stetig wachsen, am liebsten rund um die Uhr. Aber was passiert mit der Natur, wenn immer nur Frühling ist? Sie wird sich verausgaben und die Ressourcen am Ende erschöpfen. Werden, wandeln und vergehen – der Mensch darf sich an seinen natürlichen Rhythmus erinnern. Was besagt das Wechselspiel der fünf Elemente und welche Kraft steckt in den Wandlungsphasen? Welche Organe sind dem jeweiligen Element zugeordnet und welche Bedeutung hat die Lehre im Zusammenspiel mit Yin Yoga? Welche Herausforderungen ergeben sich mit dem Aufschwung des Frühlings und der stagnierenden Situation im Außen und wie können wir diesen besonderen Umständen begegnen?


Helga Baumgartner im Interview über Yin Yoga und die Lehre der Elemente



Woher stammt die Lehre der Elemente und was besagt diese?


In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) werden fünf Elemente beschrieben, die die Welt zusammenhalten - Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall. Diese Elemente interagieren eng miteinander. Holz ist die Grundlage für Feuer. Wenn Feuer verbrennt, lässt es Asche zurück, die dem Erdelement entspricht. Die Erde wird unter Zeit und Druck zu Metall und Gestein. Durch dieses fließt schließlich Wasser hindurch und nimmt die Mineralien in sich auf. Das Wasser wiederum bringt Regen. Pflanzen entstehen und wachsen und der Zyklus beginnt von Neuem im Element Holz.


Ich empfinde die Elemente als eine Brücke, die alles miteinander verbindet. Wir sind nicht losgelöst davon, sondern ein Teil dieser Lehre. Die TCM geht davon aus, dass alle Elemente im Körper wie ein Hofstaat organisiert sind, wobei jedes Element seine eigene Aufgabe hat. Wenn jedes Element seine Aufgabe gut erfüllt, sind wir in einer guten Balance, was sich auch im Außen widerspiegelt.



Welche Kraft steckt in den jeweiligen Elementen?


Das Holz-Element steht für das Frühjahr und die Zeit für Wachstum, Handeln und Erschaffen. Seine Frage ist: „Was ist zu tun, und wie kann ich es erreichen?“ Auf körperlicher Ebene sind bei diesem Element kleine Muskeln, Bänder und Sehnen verbunden. Die Persönlichkeit ist der Pioniergeist.


Beim Feuer-Element geht es um den Sommer. Die Persönlichkeit ist der Zauberer, der Verbundenheit, Liebe und Optimismus verbreiten möchte. Seine Frage ist: „Wie weit ist mein Blickwinkel?“ Die Blutgefäße sind dem Element Feuer zugeordnet.


Darauf folgen Spätsommer und Frühherbst und das damit verbundene Erd-Element. Die damit Frage ist: „Was ist meine Rolle und wo stehe ich?“ Es ist die Zeit der Fülle, in der die Früchte geerntet werden dürfen. Der Erde-Typ ist der Friedensstifter, der das Mitgefühl und die Harmonie nähren möchte. Bindegewebe, Muskelfleisch und Fett unterliegt dem Erd-Element.


Der Herbst im Element Metall verkörpert das Loslassen und Transformieren. Es geht um Klarheit und Grenzen setzen. Der Mensch darf sich wieder mehr zurückziehen. Die Metall-Persönlichkeit ist der Alchimist. Auf körperlicher Ebene zeigt sich dies über die Haut und die Abwehrkräfte. Die mit dieser Zeit verbundene Frage lautet: „Was bin ich und was bin ich nicht?“. Die Haut, Körperbehaarung und die Lymphgefäße werden dem Metall zugeordnet.


Der Winter im Element Wasser ist die Zeit des Philosophen. „Woher komme ich und wo gehe ich hin?“ Diese Zeit steht für Tiefgründigkeit, Willens- und Lebenskraft. Auf der physischen Ebene betrifft es die Körperflüssigkeiten. Das Wasser regiert die Zähne, das Innenohr, Knochen und Mark, Gehirn und Rückenmark wie auch die inneren Geschlechtsorgane. Der Winter ist der Energiespeicher für alle anderen Elemente, der wieder aufgetankt werden darf.


Jedem dieser fünf Elemente wird dabei ein Yin- und Yang-Meridian zugeordnet.



Was kann man sich unter dem Begriff Meridian vorstellen?


Die Meridiane kann man sich im Körper als eine Art Netzwerk aus Kanälen vorstellen. Wenn in einen Kanal ein Stock hineinfällt, ist das nicht weiter schlimm. Wenn sich jedoch ein größerer Staudamm bildet, leidet das ganze System. An der einen Stelle entsteht ein Stau und somit ein Überfluss. Und an anderer Stelle hinter dem Damm gibt es eine Unterversorgung, also eine ungewollte Trockenheit. Die Dysbalance kann sich auf der körperlichen, mentalen und emotionalen Ebene bemerkbar machen.



Welche Organe sind dem jeweiligen Element zugeordnet?


Das Holz-Element entspricht der Leber (Yin) und der Gallenblase (Yang), das Element Feuer ist verbunden mit dem Herzmeridian (Yin) und Dünndarmmeridian (Yang) wie auch dem Herzbeutel (Yin) und dem sogenannten Dreifachen Erwärmer (Yang). Das Erd-Element entspricht dem Milzmeridian (Yin) und dem Magen (Yang). Metall steht für Lunge (Yin) und Dickdarm (Yang) und das Element Wasser ist mit dem Meridianen-Paar Niere (Yin) und Harnblase (Yang) verbunden.



Welche Bedeutung hat diese Lehre im Zusammenhang mit Yin Yoga?


Sarah Power hat einmal gesagt „Yin Yoga ist wie Akupunktur ohne Nadeln“. Das ist gut auf den Punkt gebracht, um zu verstehen, warum die Elemente-Lehre so wichtig ist. Im Yin Yoga stimulieren wir durch das längere Verweilen in einer Haltung das Faszien- und Meridian-Gewebe – dehnen, öffnen und komprimieren. Die Haltung fungiert hier als eine Art Extra-Staudamm, um dann im Auflösen mit extra viel Kraft eventuelle Blockaden zu lösen. Das Nachspüren nach der Haltung ist die Frucht der Praxis. Yin Yoga kann also dabei helfen, die Kanäle „sauber zu halten“ und Disharmonien auszugleichen.


Der langersehnte Frühling ist da. Lass uns etwas in die Tiefe gehen.


Der Aufschwung in der Natur ruft bei den meisten Menschen auch eine Aufbruchsstimmung im Innen hervor. Projekte entstehen, Dinge kommen wieder in Bewegung, Pläne können geschmiedet und auf den Weg gebracht werden. Das Organpaar Leber und Gallenblase werden auch der General und Feldheer genannt. Sie regieren Chi (Lebenskraft), Blut und Emotionen und sorgen dabei jeweils für einen ausgewogenen Fluss im Körper. Wenn hier eine Dysbalance besteht, drückt sich dies auf physischer Ebene beispielsweise durch fahrige Bewegungen aus (man stößt sich leicht) oder über Kopfschmerzen, Migräne oder Spannungen im Schulter- und Nackenbereich. Die emotionale Welt kann ungestüm werden. „Mir ist etwas über die Leber gelaufen“ kann sich über Ärger, Wut oder Frustration zum Ausdruck bringen.


Um die Leber- und Gallenmeridiane zu stimulieren werden im Yin Yoga die Innen- und Außenseiten des Körpers angesprochen. Auf körperliche Ebene empfinde ich hier zumeist eine unmittelbare Verbesserung. In der Gefühlswelt ist es nicht unüblich, dass sich die Emotionen zunächst verstärken, bevor sie nach dieser Welle abfließen können. Hier darf man sich entspannen und hineinlehnen.



Der Frühling steht für die aktivste Zeit im Jahr - in der Natur wie auch im Körper. Es wird wieder heller und mit dem Licht kommt wieder mehr Energie zurück. Aufgrund der aktuellen Bedingungen in der Außenwelt scheinen die Menschen jedoch sehr erschöpft, müde und wenig motiviert. Wie passen diese beiden Bilder zusammen?


Der eine Aspekt ist, dass viele Menschen die mit dem Winter verbundene Ruhezeit nicht leben (können). Der Mensch richtet sich weniger nach den Zyklen der Jahreszeiten, sondern viel mehr nach dem Rhythmus des alltäglichen Lebens aus. Der Alltag ist zumeist mit viel mit Beschäftigung gefüllt. Somit können sich die Batterien nicht vollständig aufladen und man ist anfälliger für die sogenannte Frühjahrsmüdigkeit.


Der andere Aspekt ist, dass es für das Holz-Element das Schlimmste ist, wenn es im Wachstum eingeschränkt wird. Holz verfolgt das Lebensziel anzupacken und umzusetzen. Die größte Sorge ist also, sich nicht ausleben, nicht ausbreiten und nicht verwirklichen zu können. Da wir durch das aktuelle Geschehen nur wenig bis keine Pläne schmieden können, kann sich dies in einem Ungleichgewicht zum Ausdruck bringen.



Wie findest du einen guten Umgang mit dieser Situation?


Hier gilt es sich der natürlichen Yin-Yang-Bewegungen hinzugeben und zu spüren, was man gerade wirklich braucht. Neben Yin Yoga kann auch eine Yang-geprägte Praxis förderlich sein. Des Weiteren spielt die Neuausrichtung der Gedanken eine wichtige Rolle. Ich versuche mich immer mehr auf das zu fokussieren, was möglich ist und weniger auf das, was gerade nicht möglich ist. Somit finde ich meinen Weg zurück in die Selbstwirksamkeit. Im Sinne des Holz-Elements haben beispielsweise lange Spaziergänge in der Natur eine sehr heilsame Wirkung, mit viel Grün um uns herum, denn diese Farbe harmonisiert das Holz-Element. Ich persönlich brauche gerade viel mehr Zeit für mich, um das Leben und die besonderen Umstände zu verarbeiten zu können.



An welcher Stelle bist du in den letzten zwölf Monaten gewachsen?


Ich habe eine andere Demut meinem eigenen Energielevel gegenüber entwickelt. In der Pandemie kann ich nicht das gewohnte Pensum arbeiten. Ich brauche viel mehr ungefüllte Zeit um zu verdauen und zu integrieren was jetzt ist. Diese Zeit verbringe ich am liebsten in der Natur. Eine weitere Erkenntnis, die mich begleitet, ist, dass wir mit dem gegeneinander ankämpfen nicht weiterkommen. Auch wenn Meinungen auseinandergehen, versuche ich mich immer wieder daran zu erinnern, dass der Teil in dem wir uns ähnlich sind grösser ist als dass was uns voneinander trennt. Ich glaube es ist ist jetzt sehr wichtig auf die Gemeinsamkeiten zu schauen, den anderen zu hören und in Verbundenheit zu bleiben - auch wenn mich das Gegenüber irritiert. In der Liebe zu bleiben, ist aktuell eine große innere Praxis für mein eigenes Wachstum.



Helga Baumgartner zählt zu den wenigen Yin Yoga Lehrerinnen in Europa, die bei Paul Grilley in Kalifornien eine 500 h Yin Yoga Ausbildung abgeschlossen hat. Nach mehr als 850 Ausbildungsstunden im Yin Yoga bildet sie seit 2014 selbst aus und ist gefragte Dozentin auf Yoga-Konferenzen. Helga ist Autorin und hat einen Lehrauftrag an der Universität Regensburg für Yoga und Achtsamkeit. Ihr Fokus und ihre große Hingabe gelten der Praxis und dem Teilen der ruhigen Innenschau von Yin Yoga, die für sie eine tiefwirkende und therapeutisch heilende Magie hat, die sie gerne an andere herantragen möchte.


Mehr über Helga Baumgartner: yinplusyoga.de

Buch: Yin Yoga - Üben für innere Ruhe und Entspannung

Fotos: Christine Schneider




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