René teilt eine große Leidenschaft mit mir. Die Praxis von Yin und Restorative Yoga. Er unterrichtet bereits seit 14 Jahren Yin-, Restorative- und Yogatherapie in der Schweiz, Deutschland und Italien und ich freue mich so sehr über das Interview mit ihm. Danke fürs Erinnern, Teilen und Impulse setzen.
René Hug im Interview: Worin liegt die Essenz von Yin und Restorative? Warum in den stillen Yogastile gerne mal die Tränen fließen? Kann man ängstlich und zugleich entspannt sein? Wonach lohnt es sich wirklich zu streben?

Worin liegt für dich die Essenz von Yin & Restorative?
Meiner Meinung nach liegt die Essenz von Yin und Restorative Yoga in der Vorgehensweise des Praktizierens, denn man muss die Elastizität der vorhandenen Struktur respektieren. Man darf über diese individuell unterschiedliche Elastizität nicht hinausgehen, damit keine Verletzungen an Gewebe, Bänder und Muskulatur entstehen. Das bedeutet auch, dass man sich von den üblichen Gedanken wie "einen Dehnungsreiz spüren" oder "Leistung erbringen wollen" verabschieden muss.
Wann praktizierst du Yin Yoga?
Wenn ich total übersäuert bin und körperlich oder mental zu viel geleistet habe. Yin bietet mir die Möglichkeit, einfach ich selbst zu sein, mir beim Praktizieren Zeit zu lassen, Kraft zu tanken und wieder mit meiner Intuition in Verbindung zu kommen. Mein Bewusstsein schärft sich und ich werde mir selbst gewahr. Ich stärke die Erkenntnis, dass ich mir selbst und meiner inneren Stimme vertrauen kann. Yin Yoga bietet mir einen Weg zu mir zu finden. Diese Effekte sind bei allen Menschen möglich, wenn sie sie zulassen.
Worin unterscheidet sich Restorative Yoga im Vergleich zu anderen Stilen?
Restorative Yoga unterscheidet sich vor allem durch die vielen verschiedenen Hilfsmittel, die den Körper dabei unterstützen, sich von Anstrengungen und Anspannungen zu erholen. In den Haltungen wird keinerlei Kraft aufgewendet und man sollte dabei auch keine Dehnung verspüren. Der Körper wird mit Decken, Kissen und Blöcken gepolstert und gestützt, so dass er für 20 Minuten oder länger bewegungslos in einer Haltung ruhen und sich ein Schwebegefühl ausbreiten kann. Das Ziel ist es, bei Bedarf sehr lange vollkommen entspannt in den Haltungen zu verweilen, so dass die Gehirnwellen wieder optimal strukturiert werden und sich das zentrale Nervensystem erholen kann. Der Körper soll dabei die Möglichkeit bekommen, sich von Stress, Krankheiten oder Verletzungen zu regenerieren.
Jetzt wird der ein oder andere vielleicht sagen: dann kann ich auch schlafen.
Ruhe unterscheidet sich von Schlaf. Du kannst schlafen und trotzdem nicht ausgeruht sein. 20 Minuten auf dem Boden liegen, die Beine auf einem Stuhl abgelegt, ermöglicht die Trennung dieser beiden Zustände, um in das parasympathische Nervensystem zu kommen. Du regenerierst, ohne dass du schläfst. Es ist in dieser schnelllebigen Welt zwingend notwendig, dass wir unseren Stress reduzieren und wieder lernen mehr zu entspannen. Du kannst nicht entspannt und ängstlich zugleich sein.
Welche Rolle spielt der Atem dabei?
Atem ist für mich das Wichtigste. Ohne Atem, kein Leben, keine Entspannung, keine Erholung für das Nervensystem und die Muskulatur. Die Atmung sollte in der Yin und Restorative Praxis stets autonom und ruhig fließen. Auf diesem Wege kann man wieder zu einer normalen und harmonischen Bauchatmung zurückfinden.
Unser natürlicher Zustand ist entspannt zu sein. Warum erlauben sich viele Menschen diese Form des Seins zu wenig?
Diese Frage kann ich nur aus meiner Erfahrung und aus der Beobachtung und dem Austausch mit Teilnehmern meiner Yogaklassen beantworten. Keinesfalls will ich mir hier eine Diagnose erlauben. Der Mensch an sich ist eine Spezies der Individuen. Somit hat jeder Einzelne seine eigenen Erfahrungen gemacht, ist eine Erziehung durchlaufen und bringt seine persönliche Lebenseinstellung mit. Alle diese Faktoren bilden seine persönliche Lebensstruktur, in der er "gefangen" ist. Die Praxis von ruhen, beobachten und sich hinzugeben ist eine zugleich tiefgehende und sich selbst widerspiegelnde Praxis. Dem Großteil der Gesellschaft ist das teilweise unheimlich und viele Menschen möchten das nicht. Dazu kommt, dass sie diese Vorgänge oft mit Erklärungen wie ...das ist mir zu spirituell... von sich weisen. Allerdings hat das mit Spiritualität erstmal gar nichts zu tun.
Viele Menschen, auch Yogis und Yogalehrer, schauen nicht gerne in sich und wehren sich mit Händen und Füssen gegen solche Vorgänge - wahrscheinlich auch oft unbewusst. Ich finde, keiner von uns, mich selbst eingeschlossen, kann wirklich sagen, dass er der vollkommene Yogi, immer in sich selbst ruhend und mit sich selbst im Reinen ist. In meinen Augen ist das eine Illusion. Solange wir auf dieser Erde sind, werden wir lernen und Erfahrungen sammeln. Es gehört dazu Fehler zu machen. Man kann nach Vollkommenheit streben, aber sie zu erreichen ist nicht nur schwierig, sondern liegt auch im Auge des Betrachters. Was für den einen Vollkommenheit ist, ist es für den anderen vielleicht noch lange nicht.
Warum ist es ein Geschenk, wenn während dieser stillen Yoga Stile die Tränen fließen?
Wenn Tränen fließen, dann darf sich etwas, das schon lange im Innern unterdrückt und zurückgehalten wurde, endlich lösen. Es gibt wunderschöne Zitate darüber: „Tränen sind Worte, die das Herz nicht aussprechen kann“. Oder auch "Tränen haben etwas Heiliges. Sie sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Kraft. Sie sprechen beredter als zehntausend Zungen. Sie sind die Verkünder bedrückendsten Kummers, tiefer Reue und unaussprechlicher Liebe." Besser kann man es kaum in Worte fassen.
Was zeigt uns die Weisheit des Körpers?
Was der Geist will und mittels Gedanken zum Ausdruck bringt, ist noch lange nicht das ist, was der Körper wirklich braucht. Ein Beispiel: Unsere Gedanken gehen oft in die Richtung, dass wir Leistung zu erbringen haben, um mit unseren Mitmenschen mithalten zu können. Früher oder später meldet sich der Körper. Manchmal auf eine sehr unangenehme oder beängstigende Art und Weise. Wenn wir plötzlich mit einem totalen Systemzusammenbruch konfrontiert werden und gar nichts mehr geht. Den Körper und Geist in Harmonie zu bringen, die Kommunikation zwischen Körper und Seele aufrecht zu erhalten und auf unsere innere Weisheit zu hören. Danach lohnt es sich zu streben, dann können Körper und Seele im Einklang sein und heilen.
Welche Bücher haben dich inspiriert?
"Gegen den Strom" von Noah Levine, "Das Herz des Yoga" von Max Strom, "Jetzt! Die Kraft der Gegenwart" von Eckhart Tolle und "Mediale Medizin" von Anthony William.
Mehr über René Hug: reneyoga.ch
Fotos: René Hug
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