Vor einigen Monaten hatte ich das große Glück von Ralph durch eine Yoga Nidra Klasse geführt zu werden. Einige Tage später zeigten sich die Früchte dieser stillen Reise.
Alte und tief verankerte Glaubensätze kamen ins Bewusstsein zurück und durften gehen. Inspiriert und dankbar für diesen Austausch und das Interview mit ihm.
Dr. Ralph Skuban über die Kraft der stillen Praktiken von Yin & Nidra.

Ist Entspannung in der heutigen Zeit zu einer höheren Kunst geworden?
In meiner Wahrnehmung war Entspannung schon immer eine Kunst. Man muss es lernen. Aber in unserer beschleunigten Welt von heute ist es eine umso größere Herausforderung. Die Kunst liegt darin, dass man sich eine Methode aneignet und sie dann auch tatsächlich praktiziert. Lesen oder der Besuch eines Workshops genügen nicht. Es ist die eigene regelmäßige Praxis, die zählt.
Was ist der Unterschied von Yin Yoga und Yoga Nidra?
Beides sind sehr stille Praktiken. Wobei Yin mit Haltungen arbeitet, die den physischen Körper sanft weiten und den Energiekörper reinigen. Nidra setzt tiefer an, lässt den physischen Körper hinter sich und will im Kern in die tiefsten Schichten des Geistes vordringen, um dort Reinigungsarbeit zu vollziehen.
Was macht die Verbindung dieser beiden stillen Praktiken so kraftvoll?
Beides ist sanft. Beides ist aber auch intensiv und geht es nicht sehr viel um äußere Techniken. Der Kopf darf loslassen und wir tauchen ins Spüren ab. Wir beginnen mit dem Körper und ruhen schließlich im Geist. Es ist ein Durchgang durch die Koshas oder Hüllen unseres Wesens. Von außen nach innen. Das macht diese Verbindung sehr kraftvoll.
Welche Rolle spielt der Atem dabei?
Der Atem ist von zentraler Bedeutung. Im Nidra ist er ein integraler Bestandteil der Wahrnehmungspraxis. Im Yin kann er intensiv erfahren werden, während man mehrere Minuten in den Haltungen verweilt. Der Atem ist nicht nur im Yoga das Fundament. Er ist auch die Grundlage unseres ganz normalen Lebens. Atembewusstheit ist von großer Bedeutung und heilsamer Kraft. Es ist der vitalste Prozess in uns und die Brücke zwischen Körper und Geist. Der Anfang und das Ende des physischen Seins - nicht aber des Lebens. Keiner stirbt. Wir wechseln nur immer wieder die Bühne auf der wir unser Stück geben.
Was ist der alltägliche Nutzen einer regelmäßigen Yin und Nidra Praxis?
Wohlsein. Klarheit. Freude. Weichheit ohne Schwäche. Tiefer gehen. Das sind die Ideen. Wie viel Nutzen jemand tatsächlich für sich selbst erfährt, hängt von seiner Praxis ab. Man kann sogar Yin oder Nidra mit Erwartungen überfrachten, sein Ego hineintragen, aufladen mit Wünschen und Hoffnungen. Etwas Demut ist immer gut. Offenheit und das Loslassen von Erwartungen sind ebenso wichtig wie die Praxis selbst.
Ist das zunehmende Angebot von Yin Yoga eine logische Konsequenz der Entwicklungen in der westlichen Yogaszene?
Wir brauchen beides: Yin mit den Qualitäten von Weichheit und Loslassen und Yang mit den Facetten von Kraft und Stärke. Ist die Welt stark? Ich glaube nicht. Die Beschleunigung und Zerstörungskraft durch den Menschen ist kein Ausdruck von Stärke. Es ist kein Zeichen von zu viel Yang. Es ist schlichtweg ein Zeichen von Unachtsamkeit, Gier, Dummheit und erzeugt Leid. Der Yin-Ansatz kann aber helfen in Bezug auf Wahrnehmung und Abbau von Stress und Leistungsdruck. Sich im Yin Yoga selbst zu begegnen ist aber auch nicht immer leicht.
Die Sankhya-Philosophie beschreibt unterschiedliche Formen von Leid. Was verbirgt sich dahinter?
Adhidaivika-dukha, das sind die großen Katastrophen in der Welt und Adhibautika-dhukha, das Leid, das andere uns zufügen. An beidem können wir mit Yoga nicht viel ändern.
Schließlich geht es um Adiatmika-dhukha, das innerlich verursachte Leid oder auch das psychologische Leid. Es hat wiederum drei Facetten: Parinama-dhukha, der Schmerz des Menschen, der festhalten will, was sich verändert. Tapa-dhukha, jene Probleme, die entstehen, weil wir immerzu Bedürfnisse befriedigen wollen/müssen, woraus Frustration entsteht. Und schließlich Samskara-dhukha, das unachtsame Handeln aufgrund der Prägungen, die wir erfahren haben. An diesen inneren Leidensgründen können wir arbeiten: auf physischer, energetischer und mentaler Ebene. Körperarbeit, Atempraxis und Meditation sind dabei kraftvolle Ansätze.
Woran möchtest du die Menschen erinnern?
Dass sie unsterblich sind. Der Tod ist eine Illusion. Nur das Kleid legen wir ab. All unsere Handlungen, Gedanken und Gefühle sind das Gepäck, das wir einst mit "nach drüben" nehmen. Und seid sanft im Atem.
Welche Menschen haben dich auf deinem Weg inspiriert?
Die Bücher von Robert Monroe und zuletzt das Schaffen von Konstantin Buteyko. Ich schreibe gerade ein Buch dazu. Atemarbeit ist seit langem der Kern meines Interesses.
Foto: Dr. Ralph Skuban
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